Interview mit Ulrich Lechte MdB

Lechte zog mit der Bundestagswahl 2017 über die Landesliste der FDP Bayern in den 19. Deutschen Bundestag ein. Dort ist er Vorsitzender des Unterausschusses Vereinte Nationen, internationale Organisationen und Globalisierung und gleichzeitig Obmann seiner Fraktion in diesem Ausschuss. Zudem ist er ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.

 

Guten Tag Herr Lechte, was sehen Sie nach dem Friedensprojekt als nächsten, identitätsstiftenden Narrativ?

Europa als Friedensprojekt wird hoffentlich niemals als Narrativ für die Europäische Union verloren gehen, denn dieses Narrativ steht als Antithese zu den Jahrhunderten, in denen europäische Gesellschaften gegeneinander, anstatt miteinander, arbeiteten und dies schließlich zu Lasten aller. Die Erkenntnis wird zwar gebetsmühlenartig wiederholt, aber die eigentliche Bedeutung und das Ausmaß dieser historischen Errungenschaft geht dabei oft verloren. Jedoch ist dieser Friede der Grundpfeiler der Europäischen Union und Basis für ihre weitere Ausgestaltung. Ohne Frieden zwischen den europäischen Gesellschaften gibt es kein Europa. Nichts desto trotz ist es wichtig, dies nicht als alleiniges Merkmal zu sehen, denn die Europäische Union steht für mehr viel mehr: Die vier Freiheiten – freier Personenverkehr, freier Warenverkehr, freier Dienstleistungsverkehr und freier Kapitalverkehr – sind ganz erhebliche Errungenschaften und die Grundlage für unseren Wohlstand. Diese Punkte müssen auch immer wieder, als die großen Leistungen dieses geeinten und erfolgreichen Europas herausgestellt werden. Denn sie sind für den Großteil der Menschen auf dieser Welt nicht selbstverständlich. Eher im Gegenteil: Europa ist ein Leuchtturm für Freiheit und wird deshalb von vielen Menschen in der ganzen Welt beneidet. Doch in den europäischen Ländern scheint gerade dieses Bewusstsein für Europa als ein immens erfolgreiches Projekt zu schrumpfen. Das zeigt sich beispielsweise am Brexit und an vielen anderen populistischen und anti-europäischen Bewegungen. Das bereitet mir große Sorge.

Was halten Sie von der Kooperation von En Marche & ALDE?

Emmanuel Macron und seine Bewegung En Marche sind tief verwurzelt mit der liberalen Idee und deshalb freut es mich, dass sie Teil der liberalen europäischen Familie geworden sind. Inhärent im Liberalismus ist die Idee des Aufbruchs, der Mut zur Veränderung und der Wille zur Weiterentwicklung, denn Stillstand ist Rückschritt. So hat Emmanuel Macron mit seiner Bewegung genau diese Punkte angesprochen und sie, wie kein anderer französischer Präsidentschaftskandidat, vorgelebt. Seit seiner Wahl hat er großen Tatendrang bewiesen und seinen Willen zur Reform der Europäischen Union zum Ausdruck gebracht und dies eint ihn mit den Zielen der ALDE. Unsere liberale Familie ist um ein erhebliches Stück größer geworden und darauf müssen wir weiter aufbauen. Im Moment ist die europäische Idee in Stillstand geraten, an uns liegt es jetzt, sie wiederzubeleben!

Welche Themen würden Sie nach Brüssel verlagern?

Als Außenpolitiker der FDP-Bundestagsfraktion liegt mir ganz besonders eine Gemeinsame Europäische Außen- und Sicherheitspolitik am Herzen. Darüber hinaus auch eine effektive europäische Grenzsicherung. Gerade bei einer zügigen Koordinierung einer gemeinsamen Außenpolitik im Krisenfall hakt es. Die relativ lange und schwierige Abstimmung der europäischen Staaten bei Venezuela hat noch vieler Schwächen gezeigt. Wünschenswert wäre, wenn die EU schnell, koordiniert und entschlossen eine Position findet. Auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik wäre es wünschenswert, wenn wir als mittelfristiges Ziel eine Europäische Armee schaffen, denn diese würde mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Die Einführung eines Europäischen Rüstungsgütermarktes, Schaffung einer europäischen Identität durch eine Europäische Armee und letztlich eine Armee die dem europäischen Parlament untersteht. Zu guter Letzt wäre eine gemeinsame Grenzsicherung wünschenswert, die auch den Namen verdient. Dies hat im Zuge der Flüchtlingskrise an enormer Bedeutung gewonnen, doch sind wir trotz der Flüchtlingskrise heute nicht bedeutend weiter als vorher. Die EU-Kernländer dürfen sich nicht darauf ausruhen, dass die Länder an den EU-Außengrenzen schon alles regeln. Genauso sollten aber auch Länder an den EU-Außengrenzen die Hilfe und Unterstützung der Kernländer nicht unterminieren. Wenn wir die Idee des gemeinsamen europäischen Grenzschutzes zu Ende denken, dann könnten Grenzschützer aus Kerneuropa die Länder der EU Außengrenzen bei ihrer Arbeit unterstützen. Insbesondere die Seewege könnten unter gemeinsamen europäischen Mandat kontrolliert werden.

Wie sehr und warum sind Ihnen die Agrarsubventionen ein Dorn im Auge?

Unsere Agrarsubventionen führen dazu, dass afrikanische Bauern nicht wettbewerbsfähig gegenüber europäischen Bauern sind, was zu einem entwicklungspolitischen Abhängigkeitsverhältnis führt. Stattdessen wäre ein fairer marktwirtschaftlicher Wettbewerb zwischen den Kontinenten wünschenswert. Einerseits werden durch die Subventionen afrikanische Bauern auf dem europäischen Binnenmarkt schlechter gestellt. Andererseits führen die Subventionen dazu, dass europäische Unternehmen den afrikanischen Markt mit billigen Lebensmitteln überfluten. Dies zerstört die afrikanische Landwirtschaft und führt letztlich dazu, dass dringend benötigte Jobs in Afrika wegfallen oder erst gar nicht entstehen. Diese Agrarpolitik zu Lasten der Entwicklungsländer muss beendet werden. Daher sollte die EU einen sukzessiven Abbau der Agrarsubventionen vorantreiben, um einen fairen und marktwirtschaftlichen Wettbewerb zu ermöglichen. Innovation, Fortschritt und Digitalisierung sind die Schlagworte für die Landwirtschaft von morgen und gerade Begrifflichkeiten wie Agrarsubventionen sollten der Vergangenheit angehören.

EU-weite Bildung: Wie kann sie aussehen?

Schon heute haben wir ja das ERASMUS+ Programm, welches darauf abzielt, den Austausch und die Mobilität von jungen und alten Menschen in ganz Europa zu fördern. Dies ist eine wunderbare Initiative, aber sie hat noch längst nicht ihr volles Potential erreicht. Es muss noch viel getan werden, damit Ausbildungsabschlüsse in ganz Europa anerkannt werden, sodass die Freizügigkeit der EU-Bürgerinnen und Bürger auch voll und ganz genutzt werden kann. Grundsätzlich gehört auch das frühe Erlernen von mehreren europäischen Sprachen, denn es ist das Sprechen von Sprachen, welches zur Völkerverständigung in Europa und darüber hinaus führt. Hier kann die EU noch mehr tun: Sprachaufenthalte, Europäische Schul- und Studienprojekte, Schul- und Studienaustauschprogramme, Europäische Tandemprogramme und vieles mehr. Der Vorschlag von unserer Europaspitzenkandidatin Nicola Beer einen halbjähriger Schüleraustausch einzuführen, der allen Schülern zu Gute kommen soll, wäre ein wichtiger Schritt Europa näher zusammen zu bringen.

Welche Sonstigen Reformideen haben Sie?

Wichtig wäre, dass Europa als Ganzes eine einheitliche Digitalisierungsstrategie verfolgt und eine gemeinsame europäische digitale Infrastruktur schafft, welche die einzelnen Staaten in Europa verbindet. Straßen oder Schienen waren die ersten Verbindungslinien durch Europa wie beispielsweise die A7, welche Nord- mit Südeuropa verbindet. Das, was wir heute unser europäisches Straßennetz nennen, brauchen wir auch in digitaler Form. Es ist erschreckend wie groß die Unterschiede in Europa in Bezug auf die Digitalisierung sind und gerade Deutschland steckt wahrlich noch im letzten Jahrtausend, was die digitale Infrastruktur angeht. Es ist aber kein singulär deutsches Problem sondern ein europäisches, denn es kommt nicht von ungefähr, dass Deutschland nur ein führendes Techunternehmen in der Spitzenklasse der Welt hat: SAP. Im Vergleich zu amerikanischen Konkurrenten ist SAP aber kein Schwergewicht wie Google, Apple oder Amazon. Das muss sich ändern. Ein digitaler europäischer Binnenmarkt muss das Ziel sein, denn wenn Europa ein weiteres Zurückfallen gegenüber den USA und China verhindern möchte, dann muss die EU endlich handeln und ihre Kompetenzen auf dem Feld der Digitalisierung bündeln. Für einen digitalen Binnenmarkt muss aber Geld in die Hand genommen werden, wie beispielsweise durch einen gemeinsamen Investitionsfonds.

Christoph Liesen aus Unna freut sich auf Digitalisierung und ist für Internationales & Automobiles allzeit zu erreichen.